Straßenränder sind vielen ungünstigen Faktoren wie Abgasen, Bodenverdichtung, Fahrtwind, Mahd, Salz und Staub ausgesetzt. Deshalb werden sie auch heute noch vielfach als naturfeindliche Orte angesehen. Doch weisen diese Standorte bei extensiver Pflege auf nährstoffarmen Böden einengroßen Artenreichtum auf und sind wie beispielsweise Hochspannungstrassen und Kanalböschungen ökologisch äußerst wichtige naturnahe Lebensräume in unserer Kulturlandschaft. Sie unterliegen im Gegensatz zu den meisten anderen Flächen keinem Nutzungs- und Erholungsdruck und müssen daher nicht gedüngt oder gar mit Herbiziden behandelt werden. Się sind außerdem wegen des weltweit enormen Flächenverbrauchs, verbunden mit intensiven Landnutzungsformen, wie beispielsweise der intensiven Landwirtschaft mit viel Herbizid- und Düngeeinsatz und des damit verbundenen Artensterbens, was die größte Herausforderung der Menschheit ist, in vielen Gebieten der Erde fast nur noch die einzig verbliebenen linienförmigen Refugien für Pflanzen- und Tierarten, insbesondere Insekten. Allein in Deutschland beträgt 2021 die gesamte Straßenrandlänge etwa 650000 Kilometer und weltweit ungefähr 31,7 Millionen Kilometer.
Das Untersuchungsgebiet im Stadtgebiet von Bamberg erstreckt sich von Süden über den Osten bisin den Norden. Es umfasst den von Süd nach Nord und die Autobahnen A 73 und A 70 verbindenden Berliner Ring, mehrere Ost nach West führende Straßen, einen angrenzenden Lärmschutzwall, sowie zunehmend auch direkt angrenzende bzw. naheliegende Grünflächen und einen Abschnitt unter einer Hochspannungsleitung. Die vorherrschende Bodenart ist hier mehr oder weniger nährstoffarmer Sand. Vereinzelt sind aber auch wechselfeuchte Standortverhältnisse, verursacht durch wasserstauende Tonlagen im Untergrund oder starker Bodenverdichtung, zubeobachten. Magere Böden rufen eine hohe Biodiversität hervor, weil der Mangel an Nährstoffen und Wasser viele Arten in geringer Individuenzahl bedingt, im Gegensatz zu nährstoffreichen Böden mit wenigen Arten in großer Individuen Anzahl.
Seit 1999 wird dazu im Auftrag der Stadt Bamberg ein Straßenrand-Kartierungsprojekt auf Sandstandorten im Stadtgebiet Bamberg zur Schaffung und Förderung blühender Straßenränder von Diplom Geograph Hermann Bösche in Zusammenarbeit und Abstimmung mit dem hiesigen Straßenbau- und Gartenamt durchgeführt und fachlich begleitet. Ziel ist neben der weiteren Erfassung aller Farn- und Blütenpflanzen die dauerhaft erfolgreiche Umstellung und Akzeptanz von einem intensiven zu einem extensiven Pflegekonzept zu vollziehen und zu festigen. Außerdem fungieren die Straßenränder und die anderen ökologisch gepflegten Flächen als linienhaftes Biotopverbundsystem bzw. als Trittsteinbiotope zwischen den verschiedenen Schutzgebieten und ökologisch wertvollen Biotopflächen. Dies entspricht im Kleinen einem größeren Konzept, Sandlebensräume in einem Biotopverbund entlang der Regnitzachse zu erhalten und zu fördern.
Das langjährige Straßenrandprojekt fördert somit die Artenvielfalt sehr effektiv. Wo einst ständig kurzgeschorene artenarme Rasenbankette die Straßen säumten, zeigt sich heute ein Blütenmeer aus Klatschmohn, Wiesensalbei, Wilder Möhre und vielen weiteren, zum Teil auch sehr seltenen und bedrohten Arten wie Großem Knorpellattich (Chondrilla juncea), Silbergras (Corynephorus canescens), Ranken-Platterbse (Lathyrus aphaca), Alpen-Leinblatt (Thesium alpinum) und Violetter Königskerze (Verbascum phoeniceum). Die Artenvielfalt ist hauptsächlich den trocken-sandigen und nährstoffarmen Standortsverhältnissen zu verdanken und ist außerdem das Ergebnis eines einfach durchzuführenden langjährig durchdachten Pflegekonzepts.Außerdem wurde in einigen zu nährstoffreichen Abschnitten der Oberboden samt Vegetation bis auf den anstehenden nährstoffarmen Sand abgeschoben und wie generell überall im Projektgebiet ohne Ansaat einer natürlichen Sukzession überlassen. Wo dies anderswo nicht ausreichend gelingt, kann mit ausschließlich autochtonem und keinesfalls gebietsfremden Saatgut nachgeholfen werden. Gebietsfremde Ansaaten können leicht neue expansive Neophyten hervorrufen. Außerdem können durch Kreuzungen mit Wildarten reinrassige seltene Arten verschwinden.
Gemäht wird nach erstellten Mähplan nur noch ein- bis zweimal im Jahr, mit stets vollständiger Beseitigung des Schnittgutes und auf Dünger und Pestizide wird völlig verzichtet. Vorteilhaft sind dazu sind nicht rotierende Tier schonende Mähtechniken wie beispielsweise Messerbalken, da schnell rotierende Mähgeräte deutlich negativere Auswirkungen auf die Tierwelt haben als langsam schneidende Techniken, wo viele Tiere ausweichen können. Um die Insektenwelt zu schonen, solltenach Möglichkeit morgens und abends und nicht alles auf einmal gemäht werden, um Rückzugsbereiche zu schaffen.
Das Mähgut kann auch etwa einen Tag liegengelassen werden, wenn am nächsten Tag das Schnittgut vollständig abgeräumt wird. Völlig ungeeignet sind Mulch- und Schlegelmäher, wenn nach der Mahd keine Beseitigung des Schnittgutes erfolgt. Dies ist leider noch häufig der Fall, weil eine nachträgliche Beseitigung als zusätzlicher Arbeitsaufwand oft zu aufwändig und teuer ist. Da das Mähgut stark mit Schadstoffen durch Abgase, Materialabrieb, Müll und teilweise auch Hundekot belastet ist und somit als Sondermüll gilt, ist die einzige sinnvolle und kostengünstigste Verwertung in geeigneten Biovergärungs-Anlagen, was gelegentlich schon sehr erfolgreich durchgeführt wird. Alle andere Entsorgungsmöglichkeiten wie beispielsweise Lagerungen auf Deponien und Verbrennung in Müllverbrennungsanlagen, sind, weil das Schnittgut zudem meistens nass ist, ökologisch problematisch und zudem auch teuer. Insgesamt besteht bei der Mähgutbeseitigung bei den verschiedenen Durchführenden häufig noch viel rechtlicher Klärungsbedarf.
Die erste Mahd ist nicht vor Ende Juni und die zweite nicht vor Ende September oder wegen notwendigen Überwinterungsmöglichkeiten von Insekten erst im folgenden Frühjahr oder vor allem bei besonders mageren Flächen gar nur alle zwei Jahre durchzuführen. Falls die Mäh Zeitpunkte nicht eingehalten werden können, sind diese je nach Vegetationsentwicklung flexibel auch nochetwas später im Jahr durchführbar. Dadurch werden auch Beeinträchtigungen im Straßenverkehr auf wenige Male reduziert. Außerdem sind durch eine naturnahe Straßenrandentwicklung kostenaufwändige Gestaltungen, wie beispielsweise Silbersommer-Staudenmischungen, völlig überflüssig. Es gibt auch eindeutige Untersuchungen, dass höherwüchsige Straßenränder Lärm für angrenzende Anwohner angenehmer erscheinen lassen. Dadurch bewirkt die extensive Pflege in jeder Hinsicht einen sorgsamen und sparsamen Umgang mit der Natur. Doch nicht nur die Artenvielfalt profitiert vom neuen Pflegekonzept, es wird auch viel Arbeitaufwand und Energie und somit Kosten bei großräumiger Anwendung mit geeigneten Mähgeräten eingespart. Ökologie und Ökonomie gehen dabei somit Hand in Hand.
Die Kosten sind allerdings u. a. sehr abhängig von der richtigen Mähausstattung und der Größe des Projektgebietes. Aus diesem Grund gibt es dazu sehr unterschiedliche Angaben beim Vergleich Intensiv- zu Extensivpflege. Diese reichen von gleichen Kosten für eine extensive Pflege bei noch ungünstigen Voraussetzungen hauptsächlich durch ungeeignete Mähgeräte in kleinen Bereichen bis zu deutlicher Kostenersparnis bei optimalen Bedingungen mit geeigneten Mähgeräten bei großräumiger Anwendung. Dies wird bei letzterem hauptsächlich durch geringeren Pflegeaufwand und flexible Arbeitsausführungen erreicht. Detaillierte Kostenbeträge können bisher nicht genannt werden, da diese allgemein im gesamten Aufgabengebiet der jeweils zuständigen Behörden erfasst sind.
Durch Öffentlichkeitsarbeit. Führungen am Straßenrand, Vorträge, Publikationen und regelmäßige Pressemitteilungen wird den Bürgern der Nutzen der naturnahen Grünflächenpflege erläutert. Dies ist auch nötig, denn für viele sind die wilden Blumen immer noch ein Zeichen von Vernachlässigung. Die überwiegende Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger schätzt die Umstellung auf das extensive Pflegekonzept jedoch sehr, weil dadurch auch ein wenig Natur in ansonsten versiegelte Bereiche gebracht wird.
Nicht nur die Gesamtartenzahl hat sich im Projektgebiet von 320 Sippen 1999 auf 472 im Jahre 2021 erheblich erhöht, sondern auch die der gefährdeten Sippen. Nach der Roten Liste für Oberfranken von MERKEL & WALTER 2005 und eigenen Einschätzungen, waren 1999 von den 320 Sippen 25 aktuell gefährdet, das sind 8 %. Von den bis 2005 festgestellten 414 Sippen sind 44 gefährdet, dies sind 11 % . Somit konnte dank der extensiven Pflegemaßnahmen die Anzahl der Rote Liste-Arten von 25 auf 44 gesteigert werden. Das bedeutet, dass sich der prozentuale Anteil an Rote Liste-Arten von 1999 mit 8 % um 3 % auf aktuell 11 % erhöhte. Dieser Trend hat sich bis aktuell 2021 weiter fortgesetzt. Allein diese Tatsache zeigt den großen Nutzen des eingeschlagenen Weges mit einem derartigen extensiven Pflegekonzept. Dies hätte bei großräumigerer Anwendung eine nicht unerhebliche Bedeutung für den Artenschutz.
Insgesamt wurde das Projekt mit mehreren undotierten Preisen zum Beispiel als Projekt des Monats von der Deutschen Umwelthilfe ausgezeichnet. Da dieses Projekt immer wieder positive Reaktionen hervorruft, sollte es ein großer Ansporn sein, dieses zukünftig noch weiter zu optimieren und auf weitere Straßenrandbereiche und Grünflächen auszuweiten. Allerdings ist das Projekt noch nicht zum „Selbstläufer“ geworden, da auch immer wieder Rückschläge zu verzeichnen sind. Somit bleibt auch in Zukunft eine fachliche Begleitung des Projektes weiterhin dringend notwendig.
Hermann Bösche